thumbnail

Letzte Ruhe im Einklang mit der Natur («Zürcher Unterländer», 27.11.2002)

Vielen Leuten bereitet die Vorstellung einer Urnenbeisetzung auf einem Friedhof Mühe. Lieber sähen sie ihre Asche an einem Ort in der Natur begraben. Das Friedwald-Projekt eines Thurgauers macht dies möglich – auch im Zürcher Unterland.

PETRA ZÜRCHER

Der Novembertag, den sich die beiden Jogger für ihr Fitnesstraining im Wald ausgesucht haben, ist nicht gerade der schönste. Schweigend und im Gleichschritt laufen sie dem Waldweg entlang. Jeder Atemzug, den sie tun, verwandelt sich in ein kleines nebliges Wölkchen. Es ist kalt. Über ihren Köpfen ist das ferne Dröhnen eines Flugzeuges zu hören. Das Brummen vermischt sich im Ohr mit dem Klatschen ihrer Turnschuhe auf dem feuchten Waldboden. Bald verhallen die Geräusche, und die Ruhe der bevorstehenden Wintertage legt sich wieder über den Wald.

Vertieft in ihr Training haben die beiden Läufer die junge Buche am Wegrand nicht bemerkt, deren Stamm mit einer kleinen, weissen Markierung versehen ist und mit den beiden grünen Buchstaben «AL». Die Buche steht im Friedwald von Nürensdorf zusammen mit weiteren 24 Bäumen, die auf dieselbe Weise gekennzeichnet sind. Weder ein Zaun noch sonstige Abschrankungen fassen das Waldgebiet ein, auf welchem sie wachsen. Und wer sie nicht beachtet, weiss auch nicht, dass er sich hier an einem Ort befindet, den Menschen für ihre letzte Ruhestätte ausgesucht haben.

Eine bestechende Idee
«Es gibt immer mehr Leute, die sich für diese Form der Bestattung entscheiden», sagt Ueli Sauter. Der letzte Wunsch eines Freundes aus London hatte den Thurgauer 1993 auf die Idee des Friedwaldes gebracht. «Er wollte nach seinem Tod in der Schweiz bestattet werden», erzählt er. «Und so entschloss ich mich, seine Asche als Nährstoff in die Wurzeln eines frisch angepflanzten Baumes einzubringen.» Für Ueli Sauter war es die direkteste Art, den Kreislauf des Menschen mit der Natur zu schliessen. Sein Freund lebte für ihn in diesem Baum weiter. Und es ermöglichte ihm über dieses Sinnbild, das Zwiegespräch mit diesem weiterführen.
Der Gedanke, diese Alternative zur herkömmlichen Bestattung auch anderen näher zu bringen, liess Ueli Sauter nicht mehr los. So entstand der erste Friedwald in Mammern, Sauters Wohngemeinde. Schnell fand die Idee der Baumbestattung viele Anhänger. Unterdessen gibt es in der Schweiz 39 Friedwälder. Ein 40. ist in Zürich-Altstetten am Entstehen.

Mühe mit Friedhofsverordnung
Die Idee des Friedwaldes ist frei von jeglichen esoterischen Grundgedanken. Sie ist auch frei von irgendwelchen Weltanschauungen und Religionen. Vielmehr melden sich bei Ueli Sauter Leute, die Mühe mit den strengen Friedhofverordnungen bekunden – insbesondere mit der Tatsache, dass das Grab ihrer Lieben bereits nach 25 Jahren wieder aufgehoben werden soll. «Oft sind es Familien, die zu mir kommen und sich für einen Baum interessieren», erklärt Sauter. Und das kann dann für ihn ganz ergreifend sein. So erinnert er sich an ein älteres Ehepaar, welches gleich mit Kindern und Kindeskindern kam, um einen Baum im Friedwald auszusuchen. «Es war wirklich sehr rührend, die Diskussion mitzuerleben, bis sie sich schliesslich für eine Buche entschieden hatten.»
Für die Seinen und sich hat Ueli Sauter im Friedwald von Mammern eine Birke reserviert. Vor vier Jahren erst hat er dort die Asche seines Sohnes begraben müssen.

In der Regel ohne Probleme
Längst hat Ueli Sauter einen Verein zur Unterstützung seines Friedwaldprojektes gegründet, deren Mitgliederzahl rasch wächst. Und die Nachfrage nach Baumbestattungen ist unterdessen so gross, dass er laufend nach Standorten für neue Friedwälder Ausschau hält. «Manchmal muss ich nicht einmal suchen», sagt der Thurgauer. «Es kommt vor, dass mich von der Idee des Friedwaldes begeisterte Besitzer von Privatwäldern anrufen und mir ein Parzelle ihres Waldgebietes anbieten.»
Dennoch muss Ueli Sauter auch mal den Weg über die Behörden nehmen, wenn sich das gewünschte Gebiet beispielsweise auf gemeindeeigenem Boden befindet. In der Regel, so Sauter, zeigten sich die Gemeinden problemlos bereit, einen Teil ihres Waldes als Friedwald zur Verfügung zu stellen. Und hat diese einmal ihren Segen dazu gegeben, braucht es auch keine weiteren Bewilligungen mehr. Etwas komplizierter kann es werden, sollte der Friedwald auf städtischem Gebiet liegen, so wie in Zürich-Altstetten. Zuerst musste das Projekt verschiedene Ämter durchlaufen und kam schliesslich noch vor die Ethikkommission. Ueli Sauter hat ein ganzes Jahr auf deren O.k. warten müssen.

Individuelle Bestattung
Wie man sein Begräbnis in einem Friedwald gestalten will, steht jedem frei. Ueli Sauter hat hier schon die verschiedensten Erfahrungen gemacht. «Manchmal ist es eine schlichte Zeremonie, wo die Asche eines Verstorbenen ohne grosse Worte in das Wurzelwerk des Baumes eingebracht wird.» Dann kann er sich an Beisetzungen erinnern mit Saxofonspiel, Hermann-Hesse-Gedichten oder einer vorgelesenen Geschichte, die der Verstorbene zu Lebzeiten für sein eigenes Begräbnis verfasst hat.
Sich für eine Baumbestattung zu entscheiden, heisst aber nicht, auf eine christliche Feier verzichten zu müssen. Die Landeskirchen zeigen sich gegenüber dieser neuen Form der Bestattung recht offen. So liess die Reformierte Landeskirche im «Kirchenboten» verlauten, dass sie dieser Vorstellung keine Hindernisse entgegensetzen würde und stützt sich dabei auf die Kirchenordnung. Darin vorgeschrieben ist allerdings, dass die Abdankungsfeier in kirchlichen Räumlichkeiten stattzufinden hat – und dies nach gewissen liturgischen Vorgaben. «Vielfach ist es aber schon heute so, dass der Pfarrer der Wohngemeinde auch bei der Baumbestattung selber noch anwesend ist und ein paar Worte spricht.»
Weder kirchlich noch rechtlich festgeschrieben ist hingegen, was nach der Abdankung mit der Asche eines Verstorbenen geschieht. Hier befindet man sich gewissermassen in einem rechtsfreien Raum.

Keine Steinmale oder Kreuze
Eines haben alle gemeinsam, die sich die Wurzeln eines Baumes als Ort für ihre letzte Ruhe ausgesucht haben: Sie alle verbindet eine starke Beziehung zur Natur. Ein Grund, weshalb in Friedwäldern weder Wege angelegt werden, noch Kreuze, Steinmale oder Blumenschmuck dort zu finden sind. «Manchmal sieht man zwar am Todestag des Verstorbenen eine Rose beim Baum liegen», sagt Ueli Sauter. Das ist dann aber schon alles. Ueli Sauters Idee der Friedwälder verbreitet sich in der ganzen Schweiz.
 


Unterschiedliche Preise für einen Friedwaldbaum 
Ein Baumgrab für 99 Jahre

Die Zahl jener, welche sich für eine Baumbestattung entscheiden, nimmt laufend zu. Für den Kauf eines Baumes ist der Beitritt in den Friedwald-Verein jedoch nicht zwingend.

PETRA ZÜRCHER

Sowohl in Nürensdorf (Plan) wie den restlichen 39 Friedwäldern der Schweiz finden sich nur einheimische Baumarten. Es sind vorwiegend Laubbäume wie Ahorn, Buche, Esche, Birke oder Kirsche – Zukunftsbäume, wie sie im Fachjargon der Förster genannt werden. In der Regel sucht Ueli Sauter die Bäume mit dem Eigentümer des Waldes oder einem Förster aus und versieht sie mit einer kleinen, weissen Markierung. Danach werden sie, wie alle anderen Bäume in ihrer Umgebung, der Natur überlassen. Wer einen solchen Baum kauft, sichert ihn sich für die nächsten 99 Jahre. Und sollte der Baum vorher einem Sturm oder einem Parasiten zum Opfer fallen, wird er durch einen Jungbaum ersetzt.

Dienstbarkeitsvertrag
Um einen Baum zu erhalten, muss man nicht zwingend dem von Ueli Sauter gegründeten Friedwald-Verein beitreten. Allerdings sind für Vereinsmitglieder die Preise für einen Baum etwas günstiger. Je nach Standort des Friedwaldes bewegt sich dieser zwischen 4600 und 4900 Franken. Separate Preisvereinbarungen gibt es für spezielle Bäume, beispielsweise für solche, die frei auf einer Wiese stehen oder an einem Weiher. Mit einer Eintragung auf dem Grundbuchamt in Form eines Dienstbarkeitsvertrages wird der Kauf eines Baumes besiegelt. 

Route planen