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Der Baum, die letzte Ruhestätte (Thurgauer Zeitung 01. November 2008)

Ueli Sauter aus Mammern hat den Friedwald erfunden und erfolgreich nach Deutschland exportiert. Seine Idee hätte ihn aber beinahe ruiniert. 

Ermatingen – An den Bäumen hängen kleine Tafeln mit Buchstaben, «AI» zum Beispiel oder «AL». Ansonsten ist es ein Wald wie jeder andere, vielleicht ein bisschen schöner gelegen, oberhalb von Ermatingen mit Blick auf den Untersee. Anstelle der Buchstaben gab es zuerst Zahlen. Bis jemand reklamierte, er wolle im Tod keine Nummer sein. «Dann haben wir gewechselt», sagt Ueli Sauter. Er steht zwischen den Bäumen, die Hände in die Jackentaschen vergraben, als wäre er selbst im Boden verwurzelt. Der Wald ist ein Friedwald und unter den Bäumen mit den Plaketten haben Menschen ihre Liebsten beigesetzt. Das heisst, sie haben die Asche im Boden eingegraben. Der Baum nimmt die Asche auf, der Tote lebt sinnbildlich durch den Baum weiter.

Das ist die Idee, die der gebürtige Kreuzlinger Ueli Sauter vor 15 Jahren hatte. «Ich habe den Friedhof neu erfunden», sagte er damals zu seiner Frau. Die sagte nichts, sie ist es gewohnt, dass ihr Mann viele Ideen hat. Aber keine schlug so ein wie der Friedwald. Interessenten für die letzte Ruhestätte unter Bäumen gab es von Anfang an. Die Behörden waren weniger euphorisch. So einfach die Idee war, so schwierig war der bürokratische Hürdenlauf.

Es dauerte sechs Jahre bis der erste Friedwald eröffnet wurde. Eine lange Durststrecke, die Sauter finanziell beinahe ruiniert hätte. Er hatte sein ganzes Geld in das Projekt gesteckt. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre ich heute ein Sozialfall.» Unter anderem sei es damals um die Frage gegangen, ob für den Friedwald eine Baubewilligung nötig sei, erinnert sich Kantonsförster Paul Gruber. Das Baudepartement entschied sich schliesslich gegen die Baubewilligung, mit der Auflage, dass die Zahl der Friedwald-Bäume pro Parzelle begrenzt wird.

1999 wurde der erste Friedwald in Mammern eingeweiht. Inzwischen gibt es 62 Friedwälder in der Schweiz, elf allein im Thurgau. Vor ein paar Jahren schwappte die Euphorie nach Deutschland über. Das gleiche Spiel begann von vorne. Sogar die deutschen Bischöfe hätten gegen ihn gewettert, erzählt Sauter. Die Wogen haben sich mittlerweile geglättet. Es wurden sogar schon Friedwälder von Priestern eingeweiht. Urs Brodi, der Generalsekretär der Katholischen Landeskirche Thurgau, sagt: «Für uns ist eine Bestattung in Friedwäldern nicht kategorisch ausgeschlossen.» Wichtig sei, dass die Würde des Verstorbenen gewahrt ist und die Angehörigen einen Ort des Gedenkens finden.

Viele suchen sich bereits zu Lebzeiten ihren Baum aus. Sauter erzählt von jungen, todkranken Menschen und von Familien, die er durch den Friedwald geführt hat. Manchmal sind es die Enkelkinder, die mit grosser Ernsthaftigkeit den Baum für ihren Grossvater bestimmen. Für sich selbst hat Sauter eine Birke ausgewählt: «Sie hat mir einfach gefallen», sagt er. Ein Baum kostet 4900 Franken. Dafür geht er für 99 Jahre in den Besitz des Käufers über. Sollte der Baum krank werden, oder ihn etwa der Sturm knicken, wird an der gleichen Stelle ein neuer gepflanzt.

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Er denkt nicht ans Aufhören 
Inzwischen kann Ueli Sauter vom Gewinn, den seine Friedwälder abwerfen, gut leben. Er ist 67 Jahre alt und müsste nicht mehr arbeiten. Aber das ist für ihn kein Thema: Der Friedwald ist sein Kind und ein Kind gibt man nicht einfach in fremde Hände. «Die Aufgabe befriedigt mich», sagt er schlicht. Durch den Umgang mit dem Tod hat er gelernt, wie kostbar das Leben ist.» 

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